Schi Club Gherdëina Raiffeisen - 2023/24

PÄDAGOGIK UND TRAINING VEREINT Stefan Zelger Ich kann mich noch gut an meine ersten Ausflüge auf den schmalen Brettern erinnern. Jedes Wochenende verließen wir die im Dezember erdrückend erscheinende Stadt Bozen und fuhren ins urige Sarntal, besser gesagt ins Pensertal. In Pens, dort wo der Winter in seiner vollen Schönheit nie aufzuhören schien und die Zeit stillstand, fühlten wir uns wohl. Zwischen dem Sarntal, dem Lavazéjoch und Deutschnofen ließen wir uns kein Wochenende entgehen, ohne auf den Skiern gestanden zu sein. In diesen Jahren entwickelte sich meine Leidenschaft für den Langlaufsport. Mich faszinierte die dynamische, elegante Bewegung, ein kompletter Sportler zu sein – sprich die Attribute Ausdauer, Kraft, Koordination, Geschicklichkeit, Schnelligkeit und Technik zu beherrschen – und irgendwo im Nirgendwo in friedlicher Stille über den Schnee zu gleiten, weit weg von aller Hektik. Es vereinte all das, was mir gefiel und ich konnte mich wohl deshalb sofort damit identifizieren. Die Passion steigerte sich mit den kleinen Erfolgen, die ich in meinen ersten Jahren bei den regionalen Wettkämpfen erzielte. Schließlich kam die Entscheidung, die Sportoberschule Mals zu besuchen, wo man mich das erste Mal richtig lehrte, was eigentlich der Begriff „Training“ von einem wissenschaftlichen Aspekt aus bedeutet. Es gefiel mir, wie ich mich langsam aber sicher steigerte. Zuerst regionale Rennen, dann mit dem Landeskader meine ersten nationalen Rennen – neue Konkurrenz! Nach dem dritten Jahr traf ich den Entschluss, Mals zu verlassen und in meiner Heimatstadt Bozen die WFO zu besuchen, wo ich mit Hilfe meines damaligen Trainers und mittlerweile Freundes Daniel auf mein Ziel, Profi zu werden, hinsteuerte. Ich hatte mit meinen Teamkollegen verdammt viel Spaß. Die Trainingslager waren der Hammer und noch besser war es, als im Winter dann auch die Resultate kamen. Dann ein weiteres großes Ziel: Junioren-Nationalmannschaft! Was für ein Begriff. Das fühlte sich Klasse an. Von Jahr zu Jahr steigerte ich mich, nahm an einer Juniorenweltmeisterschaft und U23-Weltmeisterschaft teil, gewann meine ersten Medaillen bei den Italienmeisterschaften und wurde 2016 durch die Aufnahme bei der Heeressportgruppe schließlich Profi. Meine Laufbahn als Athlet folgte seit Beginn eigentlich immer demselben Muster: jährliche Steigerungen. Im Dezember 2017 gab ich mein Weltcupdebut, wurde U23 Sprint-Italienmeister, einige Monate später lief ich dann zum ersten Mal in die Top 30 im Weltcup und erzielte somit meine ersten Weltcuppunkte. Im Februar 2018 nahm ich an den Olympischen Spielen in Pyeongchang teil und 2019 folgten meine ersten Weltmeisterschaften in Seefeld in Tirol, womit ich den Sprung in die A-Nationalmannschaft schaffte. Ein großes Ziel war erreicht. Gleichzeitig fing ich an, mit dem Lebensstil des Athleten zu hadern. Ständig auf Achse zu sein, weniger Zeit für Freunde, Familie und Freundin zu haben und mein Leben auf exzessive Weise auf den Profisport auszurichten, war eigentlich nicht wirklich das, was ich wollte. Ich lebte genau das Leben, das ich mir vorgestellt hatte und trotzdem sagte etwas in mir, das bin nicht ich. 2020 wurde ich trotz hervorragender Saison in den B-Kader der Nationalmannschaft zurückgestuft, was mich jedoch nur kurz ärgerte. Nach einer super Vorbereitung und glänzender Form vor den ersten Rennen glaubte ich, für die neue Saison bereit zu sein. Eine Grippe warf mich Anfang Saison kurz aus der Bahn. Ich haderte jedoch nur kurz zu Beginn der Wettkämpfe und fand dann bald in einen guten Rhythmus, aber nicht in den üblich guten. Das Gefühl nicht das zu tun, was ich eigentlich wollte, verließ mich nicht. So kam es, dass ich mit angezogener Handbremse die Rennen im Monat Jänner 2021 bestritt, da ich im Hinterkopf eigentlich bereits wusste, dass es Zeit war, einen Schlussstrich zu ziehen. Mir kam es so vor, als würde ich das Leben eines anderen leben und konnte mich nicht mehr mit dem Profisport identifizieren. Ich hatte keinen Spaß mehr und genau das war das Problem. Nach einer letzten Silbermedaille in der Teamsprint-Italienmeisterschaft mit meinem Freund Mikael Abram fuhr ich nach Hause und hatte einen klaren Kopf, der mir mein Bauchgefühl bestätigte: Stefan, es isch Zeit! Ich informierte sogleich meinen Trainer, meine Vorgesetzten, meine Freundin, meine Familie, meine Freunde und Teamkollegen, konnte mit innerem Frieden abschließen und war bereit für ein neues Kapitel. Ich entfernte mich vom Leben des Athleten und kehrte zurück zu meinen Wurzeln. Zuhause auf den Skiern in Ruhe die Runde gleiten und aus Spaß Sport betreiben! Ich hatte keine Zweifel. Das war, was ich wollte. Das war ich. Ich möchte kurz klarstellen, dass ich mit diesen Zeilen auf gar keinen Fall die Absicht habe, junge Athleten davon abzuhalten, Profisportler zu werden. Im Gegenteil! Der Leistungssport ist eine großartige, spannende Sache und ich bin unglaublich froh, dieses Leben gelebt und all diese schönen Erfahrungen gemacht zu haben. Ich will aber auch sagen, dass es keine wirkliche Verallgemeinerung für richtige und falsche Entscheidungen gibt. Entscheidungen muss jeder einzelne für sich selbst treffen. Wir sind Individuen und können nicht alle dieselben Träume verfolgen und diese schon gar nicht auf dieselbe Art und Weise erreichen. Wir sind verschieden gestrickt und so müssen wir auch handeln, um an unserem Ziel anzukommen. Wenn jemand eine wichtige Entscheidung trifft, sollte man das daher mit Respekt anerkennen, egal wie diejenige Person sich entscheidet, denn das verlangt meist viel Mut, Klarheit und Selbstvertrauen. Das gilt nicht nur für den Profisport, sondern generell für das Leben und genau das will ich den jungen Athletinnen und Athleten weitergeben, womit wir zu meinem nächsten Kapitel kommen. Ende März wechselte ich von der Heeressportgruppe zum normalen Heer in Bozen und habe schnell begriffen, dass dies ganz und gar nicht mein Platz ist. Nach „unzähligen Gehirnzellen“, die ich in jener Kaserne verloren geglaubt hatte, habe ich dann meinen jetzigen Vorgesetzten Andrea Tardivo kennengelernt. Er erzählte mir vom Schülerheim Assudëi in St. Ulrich und ich wusste bereits nach unserem ersten Gespräch, dass das mein neuer Job werden würde. Ich hatte bereits vor, Sozialpädagogik zu studieren, doch das war mir durch meinen Lebensstil als Profiathlet einfach zu stressig. Trotzdem führte mich mein Leben auf eben genau diese Schiene. Manchmal muss man den Dingen einfach freien Lauf lassen und dem eigenen Gefühl folgen und genau das tat ich. Pädagoge in einem Schülerheim in Gröden. Ich schlug zu! Im September 2021 kam ich in Gröden an und lernte bald unsere Präsidentin Lidia Bernardi kennen, die mir von einer Stelle als Biathlontrainer erzählte. Kurz darauf rief mich Edi Piazza an und einen Monat später war ich Teil des SC Gherdëina. Gleich zu Beginn meiner Zeit in Gröden fühlte ich mich wohl. Einige Grödner kannte ich bereits durch den Langlaufsport, doch die meisten Gesichter waren mir fremd. Bevor ich hierherkam, hörte ich über die Jahre immer wieder Vorurteile über das Grödnertal und seine Bewohner. Ich bin überzeugt, die meisten Leute, die Gerüchte aller Art verbreiten, wissen gar nicht Bescheid und schwatzen einfach alles nach, was andere berichten. Ich habe stets versucht, nicht Teil dieser oberflächlichen Gesellschaft zu sein und wollte alle Erfahrungen persönlich erleben, um mir mein eigenes Bild zu machen. So war es auch, als ich beschlossen hatte, hier berufstätig zu werden. Ich wollte die Menschen selbst kennen und verstehen lernen. Jetzt kann ich sagen: Vorurteile sind und bleiben Vorurteile. Ich persönlich habe bis jetzt noch keine Grödner bzw. Grödnerinnen kennengelernt, die mir unsympathisch waren. Im Gegenteil. Ich fühlte mich immer willkommen und geschätzt und hatte nie das Gefühl, nicht respektiert zu werden. Mir kam es eher so vor, als wäre man hier sehr offen, gebildet, respektvoll anderen gegenüber und froh, wenn jemand hilfsbereit und motiviert war, seine Ideen umzusetzen. 43 42 Schi Club Gherdëina 2023-24

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